KI in der Medizin und die Datenspende

Im Rahmen einer Studie für das Land Hessen im Bereich Künstlicher Intelligenz hatte ich neulich gemeinsam mit einer Doktorandin ein Gespräch mit einem Chefarzt eines hessischen Universitätsklinikums. Unser ursprüngliches Thema war – ihr denkt es euch schon – die Anwendung von KI-Algorithmen in der Medizin. Er zeigte uns Anwendungsmöglichkeiten, wie etwa die Diagnose und Therapie von Krankheiten und wie intelligente Algorithmen das Potenzial haben, die Diagnose von Krankheiten zu beschleunigen und präziser zu machen (https://orange.handelsblatt.com/artikel/53316).

Dann wollte ich das Thema Privatsphäre eigentlich nur streifen, aber es wurde letztlich der Schwerpunkt des Gesprächs – und ich habe eine Menge gelernt: Eigentlich scheint es ganz einfach: Gesundheitsdaten sind besonders zu schützen, die Gründe dafür sind auf den ersten Blick offensichtlich. Allerdings gibt es auch eine andere Perspektive und wir haben „both sides oft the story“ zu betrachten: Die häufig heftig kritisierte Verknüpfung von Daten kann für die Behandlung von Patientinnen und Patienten viele Vorteile haben. Wüssten wir beispielsweise wie sich verschiedene Operationsverfahren und/oder die Gabe von Medikamenten langfristig auf den Gesundheitszustand der Patienten auswirken (wie geht es ihnen, müssen sie ggf. nochmals operiert werden), könnte die Behandlung bei verschiedensten Krankheitsbildern verbessert werden. Ein weiteres Beispiel ist der Prototyp der Berliner Charité. Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben, sollen mithilfe von Machine-Learning-Modellen eine individualisierte Behandlung erfahren. Auf Basis der vorhandenen Symptome findet ein Abgleich mit Datensätzen anderer Patienten statt. So kann im Einzelfall fundiert entschieden werden, welche Therapie erfolgsversprechend und somit sinnvoll ist. (Quelle: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Dr-Data-was-Kuenstliche-Intelligenz-in-der-Medizin-kann-4236103.html). Dass die Daten dann natürlich vor unbefugten Zugriff geschützt werden müssen, ist fast ein „No-Brainer“ – dachte ich. Allerdings berichtete mir der Arzt von vielen Schwerkranken, die auf Privatsphäre keinen Wert mehr legen. Vielmehr stellen sie ihre Arztberichte, Laborwerte oder Befunde öffentlich ins Netz in der Hoffnung auf Hilfe. Das aus der Forschung bekannte Privacy-Paradox oder der Privacy Calculus wird damit auf den Kopf gestellt. Diese Schwerkranken können sich Privatsphäre nicht mehr leisten.

Vor dem Hintergrund, dass sowohl die medizinische Forschung als auch Schwerkranke von einer Aufhebung der zum Teil sehr strengen Datenschutzregeln sehr profitieren könnten, haben wir auch über die Idee einer Datenspende – ähnlich wie eine Blut- oder Organspende – gesprochen. Das bedeutet, dass medizinische Daten anonymisiert und pseudonymisiert für Forschungszwecke gespendet werden können. Solche Datenspenden können – ähnlich wie Blut- oder Organspenden – Leben retten. Der Onkologe Christof von Kalle vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg spricht davon, dass durch die Analyse und Verknüpfung von Daten eine Vielzahl von Menschenleben gerettet werden könnten. Die Idee einer Datenspende stellt klassische wissenschaftliche Theorien aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaften oder Psychologie zum Thema Privatsphäre ebenfalls auf dem Kopf.

Es war ein sehr spannendes und erkenntnisreiches Gespräch, in dem ich sehr viel Neues gelernt habe, und wir haben verabredet, zukünftig zusammenzuarbeiten. Ich freue mich sehr darauf. Es gibt viel zu tun – in der Forschung als auch im Bereich der Aufklärung der Menschen. Nicht immer ist nämlich die Analyse und Verknüpfung von Daten schlecht bzw. für die Menschen von Nachteil. Vielmehr kann auf diese Weise auch ein großartiger Beitrag für eine bessere Welt geleistet werden, indem Patientinnen und Patienten besser geholfen werden kann und Menschenleben gerettet werden können. Auf dem Rückweg fragte mich meine Doktorandin mit leuchtenden Augen, ob sie ihr nächstes Forschungsprojekt im Bereich Künstlicher Intelligenz, Privacy und Medizin machen könnte. Natürlich habe ich ja gesagt.